Drei Tage alleine im Wald: Vision Quest auf Teneriffa

by Jakob Horvat, February 24th 2019
Ich stöbere nicht nach spirituellen Erfahrungen, auch nicht nach großen Visionen. Meine Motivation ist erdig. Ich möchte wissen, ob ich die Ängste der Einsamkeit aushalten kann. Bin neugierig, ob ich mich selbst ertrage und das Gerümpel in meinem Kopf. Ohne Handy, ohne Buch, ohne Ablenkungen.

Aus Kapitel 3: »Drei Tage am Strand, drei Tage im Wald – Advent auf Teneriffa«

Mit dem Bus um die halbe Insel. Wir bilden uns ein, die bewaldeten Berge Nordteneriffas seien ein guter Ort für die Vision Quest. Zwei Stunden später raschelt das feuchte Laub mit jedem Schritt, den ich vorsichtig auf den Waldpfad setze. Der Regen von heute morgen hat den Boden aufgeweicht und ich muss aufpassen, dass ich nicht mitsamt meines Rucksacks und den zwei Sechsliter-Wasserkanistern in meinen Händen hinfalle. Martin und ich haben alles Überflüssige in einem nahegelegenen Hostel deponiert und uns vor zwanzig Minuten voneinander verabschiedet. In drei Tagen sehen wir uns wieder. So der Plan.

Ich bin auf der Suche nach einem geeigneten Platz, wo ich die kommenden zweiundsiebzig Stunden verbringen kann – ohne Nahrung und ohne Dach über dem Kopf. Ich stöbere nicht nach spirituellen Erfahrungen, auch nicht nach großen Visionen. Meine Motivation ist erdig. Ich möchte wissen, ob ich die Ängste der Einsamkeit aushalten kann. Bin neugierig, ob ich mich selbst ertrage und das Gerümpel in meinem Kopf. Ohne Handy, ohne Buch, ohne Ablenkungen.

Eine knappe Stunde später finde ich eine Stelle neben einem Bachbett, auf die ich einigermaßen waagrecht meine Isomatte legen kann. Mehr Zeit zu suchen habe ich nicht mehr, es wird dunkel. Ich sammle alles an Ästen zusammen, was ich finden kann und schlichte sie nebeneinander zu einem Unterschlupf auf. Rambo muss sich so gefühlt haben, vielleicht. Ich sammle Brennholz für ein Lagerfeuer, ein naiver Gedanke, hier ist es viel zu feucht. Es beginnt zu nieseln, ich spanne meine Regenjacke über die Holzkonstruktion und lege mich in meinen Schlafsack. Der Regen ist noch nicht stark genug, als dass er die Geräuschkulisse des Waldes übertönen könnte. Es kreucht und fleucht um mich herum und die einzigen Tiere, die ich auch sehen kann, sind Schnecken. Irgendwann schlafe ich ein.

Ein lautes Knacken neben mir reißt mich aus dem Schlaf. Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich weiß, wo ich bin. Es ist mitten in der Nacht, der Regen hat aufgehört, aber mein Schlafsack ist feucht. Seltsame Träume schweben durch meinen Schlaf, wenn die Umgebung besonders abenteuerlich ist. Das kenne ich schon von der Bootsreise. Es scheint, als verarbeite mein Unterbewusstsein damit die neuartigen, unbekannten Eindrücke und fragt mich, was um Himmels willen ich mir bei solchen Unternehmungen denke. Die Geräusche um mich sind nicht weniger geworden, teilweise höre ich solche von Tieren, die deutlich größer sein müssen als Schnecken, doch identifizieren kann ich sie nicht.

Die Nacht dauert lange. Ich wache immer wieder auf, drehe mich um, halte es kaum länger als eine gefühlte Stunde aus in einer Position. Mein Rücken schmerzt. Dann beginnt es wieder zu regnen und mein notdürftiges Dach hält ihm nicht stand. Wassertropfen dringen an mehreren Stellen durch, triefen mir auf den Schlafsack und ins Gesicht.

»Du Idiot, wie soll das Wasser abrinnen, wenn du das Dach waagrecht baust?«, höre ich Rambo sagen.

Ich checke meine Optionen, viele habe ich nicht. Klar, ich könnte die Sache abbrechen. Martin und ich haben uns diese Hintertüre für den Notfall offengelassen. Ist das schon ein Notfall? Wie es ihm wohl gerade geht? Wie ich Martin kenne, hat er eine Höhle gefunden und schläft wie ein König. Doch aufgeben ist keine Option, zumindest jetzt nicht. Denn mitten in der Nacht im Regen durch den rutschigen Wald stapfen – keine gute Idee. Ich werde den Regen aussitzen und morgen früh sieht die Welt wieder anders aus, ist doch immer so. Ich ziehe den Schlafsack bis zur Nasenspitze zu und beobachte die Kerze neben mir, die souverän flackert. Mir fällt ein Zitat ein:

»Life is not about waiting for the storm to pass, it’s about dancing in the rain.«

Wenn ich den erwische, der dieses Blech geschrieben hat.

Als ich wieder aufwache, graut der Morgen. Es ist friedlich geworden im Wald. Das penetrante Rascheln der Waldbewohner hat aufgehört, der Regen auch, ein paar Vögel zwitschern. Meine Regenjacke hängt verdreckt von zwei querliegenden Ästen herunter.
»Noch so eine Nacht im Regen halte ich nicht aus«, höre ich mich selbst sagen.
»Hör auf zu maulen«, Rambo schon wieder. »Niemand kommt, um dir zu helfen. Du bist der Einzige, der etwas an deiner Situation verändern kann.«
Lebensweisheiten eines Kindheitshelden.

Ich krieche aus meinen dreißig Ästen und mache mich auf die Suche nach Plan B. Zwanzig Meter bachabwärts finde ich einen Felsvorsprung, der eine Erdfläche von der Größe einer halben Isomatte abdeckt. Wenn ich meine Äste dagegen lehne, würde die ganze Matte trocken bleiben. Ich zögere nicht, trage herbei und schlichte um, diesmal schräg und nicht waagrecht. Ich spanne meine Regenjacke über und kurz, bevor ich mein Gepäck übersiedelt habe, beginnt es zu schütten. Ich fluche. Reiße mich wieder zusammen. Immerhin, der neue Unterschlupf ist trocken, die Vision Quest kann weitergehen.

Aus: WELTNAH – Raus aus der Komfortzone, rein ins Leben

Verlag: Kremayr & Scheriau

Hardcover
Mit zahlreichen 4c-Fotos
240 Seiten, Format 13,5 x 21,5
ISBN: 978-3-218-01165-5
Preis: € 22,00

 

Erscheint am 20. März 2019

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