Volunteering mit Eselscheiße: Kolumbien, Marlyn und die Liebe zur Natur

by Jakob Horvat, March 11st 2019
Auf dem Weg nach El Crucero, zur Farm von Marlyn. Eine Frau, über die ich nichts weiß, außer, dass sie sonntags ihre Ernte herschenkt und dem Mailverkehr nach nett sein dürfte. Ich habe Marlyn über die Plattform workaway.info gefunden. Wer sich für Arbeit gegen Kost und Logis interessiert, findet dort tausende Angebote aus aller Welt. Ich sitze auf dem Beifahrersitz von Riccardo, dem Mann von Marlyn. Er hat mich von der Bushaltestelle abgeholt, jetzt geht es im Pickup den Berg hinauf – Seehöhe rund dreitausend Meter.
 

Aus Kapitel 6: »Die Suche nach dem Glück – Drei Monate durch Kolumbien«

Ein schwarzer Hund läuft uns seit der letzten Ortschaft voraus. Der sportliche Vierbeiner gehört zum Inventar und bringt uns die vier Kilometer bis zum hölzernen Einfahrtstor. Ein Feldweg führt hinauf zum Haus, vorbei an Kühen und Schafen. Marlyn begrüßt mich mit herzhaftem Lächeln, weißem Wollponcho und einer Umarmung. Das Haupthaus ist eine liebevolle Komposition aus rotem Kachelboden, einem Holzdach, warmen Farben an den Wänden und lichtdurchfluteten Räumen. Viele Pflanzen stehen umher, es riecht nach Natur. Dazu eine weiße Couch und eine selbstgebaute Bar aus Steinen.

Ich beziehe meine Kemenate, die zweihundert Meter abgelegen liegt, im Haus der voluntarios. Fast jede Woche beherbergt Marlyn hier Freiwillige, die für Essen und Erfahrung anpacken. Momentan bin ich der Einzige, eine Woche will ich bleiben. Volunteering ist nicht nur eine hervorragende Möglichkeit, um beim Reisen Geld zu sparen. Sondern vor allem, um Einheimische kennenzulernen und ein paar Schichten tiefer ins Land zu reisen.

Heizung gibt es in den fahlen Gemäuern keine. Ich spüre schnell, dass die vierzehn Grad Tageshöchsttemperatur mit meinem Sommergepäck nur bedingt kompatibel sind.

Der Hahn kräht im Minutentakt, Schafe blöken ihm hinterher. Blumen wachsen aus recycelten Toiletten, Gummistiefeln und Reifen. Dutzende Gemüsebeete stehen in der Organic Food Factory verteilt. Die Idee dahinter: Marlyn baut Gemüse im Stile der Permakultur an, pflegt es mit rein natürlichen Düngern und verschenkt die Ernte an Menschen in der Region – jeden Sonntag ein Gemüsebazar. Das geht, weil ihr Mann Riccardo im Wirtschaftsministerium arbeitet und das Geld nachhause bringt. Doch Marlyn arbeitet an einem Geschäftsmodell und will ihr Gemüse an Top-Restaurants verkaufen, um ihr Herzensprojekt zu finanzieren. Dazu gehören kostenlose Workshops, in denen sie zum Beispiel herzeigt, wie einer knackiges Essen in Plastikflaschen züchten kann.

»Wir pflanzen nicht nur Samen in Flaschen, sondern auch in Köpfen«, sagt die 54-Jährige. Viele hier würden hektarweise Land besitzen, doch meistens liege es brach.

Nachts im Schlafsack, mit Stirnlampe lese ich noch ein paar Seiten. Von draußen quakt ein Froschkonzert herein, dutzende müssen es sein. Die Hausherrin hat mir erzählt, sie seien die ersten Tiere, die an Chemie im Boden sterben würden. Hier nicht, hier lebt Marlyn.

Als ich das Licht abdrehe, spüre ich die Einsamkeit im kalten Steinhaus. Wehmut schwingt mit. Länger nicht mehr hatte ich dieses Gefühl, die Ablenkungen von Medellín haben es verdrängt. Jetzt wirkt das Alleinsein unvertraut, fast seltsam. Doch ich kann in der Stille eine delikate Energie wahrnehmen, die ich nicht einzuordnen vermag. Als liege in der Einsamkeit eine geheimnisvolle Kraft verborgen. Wenn ich sie nur zu heben wüsste.

Der Hahn kräht um 5:30 Uhr, die Kälte kriecht in meinen Schlafsack. Umdrehen, einkuscheln, weiterdösen bis zum Wecker um acht. Hinaus in die Dusche, Warmwasser gibt es keines. Doch die Sonne, die den Berggipfel hinter dem grünen Hügel umarmt, wärmt zumindest die Gedanken.

Nach dem Frühstück hämmere ich Nägel in Holzpflöcke. In letzter Zeit ist öfters ein Schaf ausgebüxt. Seit zwei Tagen repariere ich den Zaun, bald ist er fertig.

Beim Mittagessen sprechen Riccardo, Marlyn und ich über Kolumbien. Über die Hauptstadt Bogotá, in die Riccardo täglich drei Stunden pro Richtung pendelt. Und die 32 departamentos, die Provinzen, mit ihren jeweils eigenen musikalischen Traditionen und Tänzen, ja, selbst die Aguardientes schmecken unterschiedlich. Das erklärt die Vielfalt, die der Reisende erleben darf, wenn er sich dem Land hingibt. Auch hier wieder meine Frage nach dem Glück. Riccardo:

»Wir Kolumbianer nehmen die Dinge nicht so ernst, deshalb sind wir glücklich. Und natürlich, wir haben eine sehr lange Küstenlinie. Du kannst nicht lange traurig sein, wenn du das Meer siehst.«

Von Marlyn höre ich – wie von Anderen zuvor – dass die kolumbianische Kultur des Vergessens eine große Rolle spiele. »Ein Volk ohne Gedächtnis«, nennt sie es. Die martialische Vergangenheit soll die Gegenwart nicht mehr terrorisieren, verstanden. Aber wie kann ein Volk dann je davor gefeit sein, dass sich die Hölle auf Erden wiederholt? Himmel, mögen die Österreicher nur ja niemals vergessen, was ihre Vorfahren im zweiten Weltkrieg angerichtet haben.

Zurück bei der Arbeit. Nachdem der Schafzaun wieder dicht ist, matschen meine Hände jetzt in braunem Schlamm und modellieren leere Whiskyflaschen in die Wandlöcher der Außentoilette. Fenster sollen das werden. Der Dreck riecht seltsam, doch ich denke mir nichts dabei. Später kommt Marlyn vorbei und begutachtet meine Arbeit. Ich frage sie, woher die Patsche denn seine Festigkeit bekomme.

»Mierda de los burros«, sagt sie. Eselscheiße.

Ich klatsche einen Klumpen an die Wand und lache. Es ist mein letzter Tag auf der Farm, der 22. April, internationaler Earth Day. Ein Tag zu Ehren von Mutter Erde und eines respektvollen Umgangs mit unserem Planeten. Für Marlyn ein Feiertag. Als wir einander zum Abschied umarmen, weiß ich nicht, ob ich sie jemals wiedersehen werde. Aber ihre Liebe zur Natur darf ich mitnehmen.

Aus: WELTNAH – Raus aus der Komfortzone, rein ins Leben

Verlag: Kremayr & Scheriau

Hardcover
Mit zahlreichen 4c-Fotos
240 Seiten, Format 13,5 x 21,5
ISBN: 978-3-218-01165-5
Preis: € 22,00

 

Erscheint am 20. März 2019

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