Die Angst spüren und es trotzdem tun – In drei Wochen über den Atlantik

by Jakob Horvat, March 2nd 2019
Ich habe ein merkwürdig hohes Maß an Vertrauen in den Lauf der Dinge gewonnen, eine Art bedingungslose Zuversicht. Die Kontrolle abzugeben und dieses Urvertrauen an ihren Platz zu setzen, ist mir nicht leicht gefallen. Doch spätestens, als wir aus dem sicheren Hafen Teneriffas ausgelaufen sind, waren meine Alternativen überschaubar. Es erschien mir als das geeignetste Mittel, um meinen Ängsten zu begegnen, ohne dabei den Verstand zu verlieren.
 

Aus Kapitel 5: »Die Angst spüren und es trotzdem tun – In drei Wochen über den Atlantik«

Zwischen Großsegel und Genua scheint mir der Vollmond ins Gesicht und verschwindet im Takt der Wellen alle paar Sekunden hinter dem Segel. Mit Handschuhen und Kapuze harre ich am Steuer dem Ende meiner Frühschicht und der Löskaffee rinnt warm den Hals hinunter. Peter liegt hinter mir auf der Bank und schläft. Plötzlich schrecke ich hoch, ein lautes Fauchen neben mir. Auf Backbordseite taucht neben dem Boot ein Wal auf und bläst seine Luft in den Mondschein. Mein Mund steht offen, eine Begegnung in Demut. Die Uhr zeigt neun Uhr Früh, doch es scheint mitten in der Nacht zu sein. Mit jeder Meile westwärts wird es ein wenig später hell. Die Bordzeit stellen wir nicht nach, sonst wird das Logbuch zum Chaos. Als der fünfte Morgen graut, haben wir die ersten tausend Seemeilen hinter uns – ein Drittel der Strecke. Wer so viel langsamer reist, als die Welt sich dreht, für den wird Zeit zur Nebensache.

Ich habe eine ganze Menge davon. Acht Stunden am Tag beobachte ich den Atlantik vom Steuerstand aus und versuche, den Kahn auf Kurs zu halten. Die restlichen sechzehn habe ich Zeit für alles, was sich auf einer Dreizehnmeter-Yacht anstellen lässt. Das ist zwar nicht viel, aber die Atmosphäre an Bord ist sonnig und die Crew harmoniert prächtig. Eine Ausnahme ist Wolli’s vereinnahmende Leidenschaft für deutschen Schlager. Doch wer sich ans Zähneputzen mit Salzwasser gewöhnt hat, übersteht auch Connie Francis.

Immer wieder besuchen uns Delphine. Schwärme von dutzenden Tieren spielen mit der Bugwelle, katapultieren sich aus dem Wasser und platschen seitwärts auf den Bauch. Sie grüßen freundlich, bleiben für zwanzig Minuten und werden dann wieder eins mit dem endlosen Blau. Einmal taucht ein Pottwal auf. Zunächst nehme ich nur seine dunklen Umrisse wahr, wenn sich die Welle auftürmt, in der er schwimmt. Als er mit uns auf gleicher Höhe ist, sehe ich, dass das Ungetüm länger ist als das Boot, auf dem ich stehe.

Wenn ich von meinem eigenen Abenteuer gerade die Schnauze voll habe, lausche ich im Hörbuch jenen von Robinson Crusoe oder lerne Spanisch. Abends greife ich mir den Sternenatlas aus der Bordbibliothek und verliere mich im Nachthimmel. Oder in Hemingway’s The Old Man and the Sea. Der Meister erzählt die Geschichte von Santiago, einem alten Fischer im rastlosen Kampf gegen die rohen Kräfte des Meeres. Hungrig und wacker mit blutigen Händen und doch richtet am Ende der Zufall die glorreiche Niederlage an. »Zerstört kann einer werden, nur aufgeben darf er nicht«, welch Poesie.

Peter ist mit seinen siebzig Jahren schon jetzt älter, als Hemingway je wurde. Aber welche Rolle spielt das Alter, wenn du gesunden Körpers und klaren Geistes ein Segelboot über den Atlantik steuerst?

»Du kannst auch mit Gewalt alt werden«, sagt Peter. »Du brauchst dich nur den Normen der Gesellschaft zu beugen, das Standardprogramm fahren und bald bist du ein seniler Krüppel, der darauf wartet, dass es zu Ende geht. Damit kann ich nur nicht sonderlich viel anfangen.«

Peter ist erst vor zwei Jahren mit Rucksack und seiner vierzehn Jahre jüngeren Freundin durch das australische Outback gereist. Von einer Atlantiküberquerung träumt der passionierte Segler seit zwanzig Jahren. Seine Grenzen möchte er ausloten, sie überschreiten und von ihnen lernen.

»Ich will wissen, wie ich mit der Belastung umgehe, nach vier Stunden Schlaf mitten in der Nacht aufzustehen und durch aufgepeitschte See zu steuern. Ich war schon immer der Meinung, sowas musst du als Segler mal gemacht haben.«

Wenn Peter vom Leben erzählt, wirkt er um Dekaden jünger, als er ist. Keine Spur von Rentnerdasein, seine Lebensgeister tanzen lichterloh. Früher war er Rettungsschwimmer auf Sylt, »die Frauen sind mir hinterhergelaufen«. Es würde mich nicht wundern, täten sie das auch heute noch. Bevor der Große aus seiner Koje steigt, macht er täglich Situps im Bett. Der graubärtige Abenteurer inspiriert mich. Die gemeinsamen Steuerwachen bieten viele Gelegenheiten für persönliche Gespräche. Vor wenigen Jahren ist seine Frau an Leukämie gestorben, nachdem die Demenz zehn Jahre lang ihr Gedächtnis zerfressen hat. Der Marter überdrüssig, habe sie oft damit gedroht, sich umzubringen.

»Es ist eine große Belastung wenn du abends heimkommst und nicht weißt, ob deine Frau noch lebt. Doch aufgeben, sie im Stich lassen, kam für mich nicht in Frage. Ich habe mich bis zum Schluss um sie gekümmert.«

Aus: WELTNAH – Raus aus der Komfortzone, rein ins Leben

Verlag: Kremayr & Scheriau

Hardcover
Mit zahlreichen 4c-Fotos
240 Seiten, Format 13,5 x 21,5
ISBN: 978-3-218-01165-5
Preis: € 22,00

 

Erscheint am 20. März 2019

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