Seekrank am Atlantik: In 8 Tagen von Südportugal nach Teneriffa

by Jakob Horvat, February 8th 2019
Hier zeigt mir das ungeschminkte Leben, was es bedeutet, bekanntes Terrain zu verlassen und etwas Neues zu probieren. Mit jedem Schritt hinaus ins Ungewisse gebe ich dem Lauf der Dinge neue Möglichkeiten, mir etwas beizubringen, mich zu überraschen mit Erfahrungen, die meine Komfortzone für mich nicht bereithält. Auf gut österreichisch und ganz ehrlich: Mir geht der Reis.

Aus Kapitel 2: »Hinter der Komfortzone liegt die Unendlichkeit«

Der Motor läuft seit zwei Stunden warm. Dieselgestank überdeckt den salzigen Hafengeruch. Das laute Knattern des Zweitakters schallt in die Nacht hinaus. Dort, wo die Sonne vor dreißig Minuten hinter den Horizont sank, ist der Himmel noch dunkelblau, oben bereits tiefschwarz. Die Sterne zu sehen gibt mir Hoffnung, dass die See zumindest in den ersten Stunden unserer Reise ruhig sein wird. Martin streicht im Scheinwerferlicht die Reling mit einer Holzlasur – letzte Arbeiten, bevor wir die Leinen los machen. Jonny verstaut ein paar Kisten, prüft die Segel und zurrt Taue fest. Ich bin zu aufgeregt, um meine Ungeduld zu verbergen: »Wann geht’s los?«, frage ich.

Jonny, alter Seemann: »Wenn wir fertig sind.«

Ich stelle keine weiteren Fragen an diesem Abend, dabei hätte ich einige. Denn ich habe zwar in gut gemeinter Vorbereitung meiner Reise das kroatische Küstenpatent erworben, weil das aber ein reiner Theoriekurs war, bin ich praktisch ahnungslos und daher nervös. Anleitung des Erfahrenen würde helfen, mir die Angst zu nehmen. Aber mit diesem Bedürfnis blitze ich beim Kapitän eiskalt ab.

Doch ich will bescheiden sein, bin ihm dankbar, dass er uns überhaupt mitnimmt. Ich reise per Anhalter nach Amerika – meine Ansprüche liegen auf Meereshöhe.

Der Atlantische Ozean liegt vor uns. Achthundert Kilometer wildes Wasser – fürs Erste, später noch knapp fünftausend weitere. Alles, was ich bisher vom zweitgrößten Meer der Welt kennengelernt habe, befindet sich auf dem schmalen Streifen zwischen Strand und Horizont. Der Gedanke beunruhigt mich. Ich denke an Columbus, denke an Piratenfilme, an haushohe Wellen. Denke an Riesenkraken. Versuche, das Denken einzustellen. Martin und ich haben in den vergangenen Tagen Ablenkung gefunden und das Titellied von Wickie und die starken Männer auswendig gelernt: »Schiff Ahoi! Schiff Ahoi! Auf dem Meer kennen wir uns aus.« Ja, wenn es nur so wäre.

Die Nacht ist bereits stockdunkel, als Jonny die letzten Schrauben festgezogen hat und wir die Vorräte in den Wandlöchern verstaut haben.

»Jetzt sind wir fertig«, sagt Jonny und für eine Sekunde scheint es, als würde er dabei lächeln.

Es ist kurz vor Mitternacht, als die Lichter von Portimão hinter uns langsam kleiner werden und der laute Dieselmotor den Zwanzigtonner hinaus in den schwarzen Ozean schiebt. Die Stürme und Regenschauer der vergangenen Tage haben aufgehört und der Wind ist beinahe still. Nicht gerade das, was sich der gestandene Segler wünscht, aber für die Dilettanten unter uns allemal ein behaglicher Einstand.

Ich habe gehört, dass Seekrankheit in 97 Prozent der Fälle keine wirkliche Krankheit ist, sondern Kopfsache. Soll heißen: Wer den Wellen zu viel Beachtung schenkt, torkelt eisenharten Zeiten entgegen.

»Nur nicht zu viel denken«, sage ich zu Martin. Und zu mir selbst.

Ich übernehme die erste Nachtwache von Mitternacht bis vier Uhr Früh. Elena bereitet in der Küche Eintopf zu und der Geruch von gebratenem Gemüse und Gewürzen steigt die steile Treppe herauf zu meinem Steuerstand.

Bald schon bin ich alleine an Deck, die anderen haben sich schlafen gelegt und Jonny dreht im Innenraum an ein paar Knöpfen des Navigationsgerätes. Gelegentlich rauschen Stimmen durchs Funkgerät. In der Ferne leuchten die Positionslichter anderer Schiffe, reger Nachtverkehr vor der Südküste Portugals. Meine Finger umklammern die Handgriffe am Masten, als würden sie dadurch wärmer. Die dünnen Neoprenhandschuhe helfen nur wenig.

»Könnte schlimmer sein«, denke ich. »Mit jeder Seemeile kommen wir dem Äquator und damit wärmeren Gewässern ein kleines Stück näher. Macht bei vier Knoten Fahrt dynamische vier Meilen pro Stunde.«

Ich lasse das Rechnen wieder sein. Der Mast schwankt von einer Seite zur anderen und wenn ich an meinen zwei Kapuzen vorbei gerade nach oben sehe, wirkt es, als würde der Sternenhimmel hin und her schaukeln und nicht das Boot.

Jede Minute und jede Seemeile bringen mich weiter weg von all dem, was mir bekannt ist. Ich bin gespannt auf das, was kommt. Auf gut österreichisch und ganz ehrlich: Mir geht der Reis.

Nach der Wachablöse liege ich in der Schlafkoje und habe den Schlafsack bis zur Nase zugezogen. Der Motor macht einen Höllenlärm, selbst mit Ohropax in den Lauschern ist das laut. Die Wellen klatschen neben meinem Kopf gegen die Bordwand. Hier unten fühlt sich der Seegang deutlich bewegter an als an Deck – mein letzter Gedanke bevor ich einschlafe.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, krängt das Boot im Takt der Wellen. Ich klettere an Deck, lasse meinen verschlafenen Blick den Horizont entlang einmal im Kreis schweifen und registriere dreierlei. Erstens: ich sehe kein Land mehr, wir sind am offenen Meer. Zweitens: Astrid hängt mit ihrem ganzen Gewicht in den Seilen, um die Segel zu hissen. Drittens: Mir ist schlecht.

»Kreuzsee«, sagt Jonny. »Wir nähern uns den Strömungen des Passatwindes.« Wellen knallen aus allen Richtungen ihre Schaumkronen gegen das Boot, der Wind hat an Kraft gewonnen und ich muss mich festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Shit. Ich habe gehofft, zumindest die ersten beiden Tage zu überstehen, ohne meinen Magen durchs Gesicht zu entleeren. Am späten Vormittag weicht diese Hoffnung der erbarmungslosen Realität mit dem sauren Geschmack eines halbverdauten Gemüseeintopfes. Am frühen Nachmittag frage ich mich zum ersten Mal, was ich mir hierbei eigentlich gedacht habe. Ich habe von diesem Gefühl der Hoffnungslosigkeit bei Seekrankheit gehört, aber ich war nicht darauf gefasst, dass es mich so schnell überkommen würde.

Aus: WELTNAH – Raus aus der Komfortzone, rein ins Leben

Verlag: Kremayr & Scheriau

Hardcover
Mit zahlreichen 4c-Fotos
240 Seiten, Format 13,5 x 21,5
ISBN: 978-3-218-01165-5
Preis: € 22,00

 

Erscheint am 20. März 2019

 

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