Reisen ohne Geld: In 3 Tagen von Lissabon nach Südportugal

by Jakob Horvat, December 5th 2018
Verrückte Ideen üben einen besonderen Reiz auf mich aus. Hält sich das Risiko, Gesetz oder Knochen zu brechen, in Grenzen, dann stehen die Chancen schlecht, dass ich nein sage. Wir haben noch Münzen und ein paar Flaschen Bier von vergangener Nacht übrig. Die Münzen schenken wir einem Obdachlosen, zwei Biere einem Grasverkäufer am Tejo. Was übrig bleibt, trinken wir zur Stärkung. Wieder einmal wissen wir nicht, wie lange sie halten muss.

Wir stehen an einer Autobahnauffahrt am Stadtrand von Lissabon. Ein junger, bärtiger Student namens Henrique nimmt uns mit in seinen Heimatort Palmela, nur dreißig Minuten von Lissabon entfernt. Henrique ist äußerst zuvorkommend, betont mehrmals, dass wir uns bei ihm melden sollen, falls wir noch was brauchen. Als wir uns von ihm verabschieden, wirkt er, als hätte er gerne noch mehr Zeit mit uns verbracht.

Es ist bereits dunkel, als wir auf altem Kopfsteinpflaster durch die engen Gassen wandern. Wo wir hingehen, wissen wir nicht. Es ist auch niemand da, den wir fragen könnten. Palmela wirkt wie ausgestorben. Dann, eine Sportbar, davor lehnt einer lässig an der Hausmauer. Martin und ich sehen einander fragend an. Wie fragt man einen Fremden auf der Straße, ob man bei ihm übernachten dürfe?

»Hi. Wir haben hier so ein verrücktes Projekt am Laufen«, lautet unser Versuch.
»Schön, das ist ein guter Anfang«, sagt der junge Mann mit kurzen Haaren und überraschend neugierigem Unterton. Er stellt sich als Gabriel vor und wir erzählen ihm mehr. Dann, die Überraschung.
»Ich habe einen Schlafplatz für euch.«
Zehn Minuten später sperrt er uns seine Wohnung auf, gibt uns den Schlüssel und sagt, bevor er zurück in die Bar geht:
»Ihr könnt in meinem Bett schlafen, da ist mehr Platz für euch beide. Ich werde mich auf die Couch legen.«
Ich traue meinen Sinnen nicht, kann nicht fassen, was passiert. Gabriel versichert sich, dass wir alles haben, was wir brauchen. Ich nicke perplex, grinse breit, sage gefühlte zwanzig Mal: »Obrigado, Gabriel!«

Wer ohne Geld reist, sollte eines nicht haben – Berührungsängste mit Fremden. Denn jeder Mensch könnte einer sein, der weiterhilft. Nicht mit Geld, das hätten wir nicht angenommen. Sondern mit Tipps, Mitfahrgelegenheiten oder, wie Gabriel, mit einem Schlafplatz.
Ohne Geld zu reisen ist eine hervorragende Übung für das Loslassen von zweierlei: Erwartungen, wie irgendetwas zu sein hat und zweitens, Stereotype, wie irgendjemand zu sein hat. Beides sagt sich leichter, als es sich tut.

»Brauchen Sie Hilfe in der Küche«, frage ich den Besitzer des einzigen Kaffeehauses, das weit und breit geöffnet hat. Der rundliche Mann sieht mich an, als stünde ich nackt da, dann bringt er einen verhaltenen Satz hervor:
»Gerade nicht, danke. Wie du siehst, ist außer euch niemand da.«
Ich wäre mir blöd vorgekommen, in ein Café zu gehen und um Essen zu betteln. Da winselt mein Stolz. Außerdem fühlt es sich falsch an, mit der Kreditkarte in der Tasche, die von einem kommod gedeckten Bankkonto abrechnet. Aber helfen für eine Jause, das erscheint mir fair. Rui dürfte von unserem Vorhaben angetan sein, er bespricht sich kurz mit seiner Frau auf portugiesisch, verschwindet dann in der Küche und kommt zwei Minuten später mit einem Aluminiumbehälter zurück.
»Hier bitte, zwei große Hühnerbeine, sie sind noch warm.«

Ich kann das schlechte Gewissen nicht wegwischen, das dieses Experiment in mir erzeugt. Zeit, die Perspektive zu wechseln. Ich glaube an Karma, an die Verantwortung jedes Einzelnen für seine Worte und Taten und daran, dass alles im Leben zurückkommt. Wenn nicht gleich, dann später. Ich bin ein großer Fan von Couchsurfing, als Gast wie auch als Gastgeber. In meiner Wiener Wohnung nächtigten bereits dutzende Menschen kostenlos. Fremde, zunächst, die nicht selten zu Freunden wurden. Ich konnte die eine oder andere Gutschrift auf meinem Karmakonto verbuchen. Stelle ich mir die Frage, ob ich das, was uns heute gegeben wurde, auch selbst geben würde, kann ich sie ehrlich mit Ja beantworten. Das macht das Nehmen leichter.

Ein Freund von Gabriel hätte uns vor einer Stunde mitnehmen sollen in den Süden, doch wir haben die Mitfahrgelegenheit vor unseren Computern vertrödelt. So sind wir am späten Nachmittag von Tag zwei unserer Drei-Tages-Challenge immer noch in Palmela, kaum weiter als einen Steinwurf von Lissabon entfernt. Wenn wir es bis übermorgen nach Südportugal schaffen wollen, sollten wir in die Gänge kommen. Mit Haube, Handschuhen und allen Schichten Kleidung, die unsere Rucksäcke hergeben, haben wir uns auf die härteste Variante eingestellt, die das Reisen per Anhalter bereithält: einen night tramp ohne Geld mit der durchaus wahrscheinlichen Option, die kommende Nacht im Freien zu verbringen. Denn wer, der halbwegs bei Trost ist, sammelt in der Dunkelheit zwei fremde Männer vom Rand der Landstraße auf?

Ich schreibe Henrique, ob er uns noch einmal helfen und uns zur Autobahn bringen könne. Zehn Minuten später biegt er in seinem Renault um die Ecke.
»Wollt ihr das wirklich tun?«, fragt der Besorgte, als sehe er, dass meine Zehen seit Stunden kalt sind. »Nachts durch die Kälte trampen, vielleicht bei fünf Grad im Freien schlafen? Oder wollt ihr erst morgen loslegen, ausgeruht bei Tagesanbruch? Ihr könnt bei mir übernachten, mein Vater kocht und der Kamin ist auch schon angeheizt.«
Henrique freut sich sichtlich, als wir sein Angebot annehmen.

Jeder Bissen des traditionellen Reisgerichts mit Fisch und Oliven ist ein Ausdruck der Dankbarkeit. Jeder Schluck vom Rotwein, den Henriques Vater Daniel aufgemacht hat, eine demütige Geste vor der herzlichen Güte dieser Familie.
Henrique legt Holz in den Kamin und Daniel schenkt eine Runde Whisky ein. Dann zeigt er uns Fotos von den hunderten Schlössern in der Region. Portugiesische Geschichte und Fotografie sind seine großen Leidenschaften.
Bald erzählen wir von unseren. Vom Reisen, vom Menschen kennenlernen, von Augenblicken wie diesen, die das Leben ins Ungewisse zeichnet.
»Wer ohne Geld reist, geht mit der Welt auf Tuchfühlung«, sage ich. »Er macht sich abhängig von anderen Menschen, bittet um Hilfe, macht sich verwundbar.«

Genau hier liegt der Zauber versteckt. In einer Welt, die vor Angst erfriert, bricht Vertrauen das Eis. Es muss nur einer anfangen. Wie freundlich die Welt sein kann, wenn man ihr Freund sein möchte. Wie schnell Fremde zu Vertrauten werden, nur durch das Herschenken von Aufmerksamkeit. Durch echtes Interesse an der Geschichte des Anderen und Teilhaben lassen an der eigenen. Durch Kennenlernen. Immer wieder bringen Martin und ich unsere Dankbarkeit zum Ausdruck.

»Es ist nichts Besonderes, was wir hier tun«, sagt Henrique in völlig übertriebener Bescheidenheit.
Als er sich bei uns bedankt, glaube ich, mich verhört zu haben. Habe ich nicht.
»Ich möchte auch einmal so reisen wie ihr, ohne große Pläne das Abenteuer suchen und die Welt kennenlernen. Dann weiß ich, dass es da draußen Menschen gibt, die mir helfen werden. Das ist ein schönes Gefühl.«

Ich gewinne in diesen Tagen so viel Glauben an die Menschheit, dass es noch für lange Zeit reichen soll.

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